Der Architekt zu seinem Werk
Kirchen bauen heißt, sich entscheiden. Theologische, architektonische, praktische, akustische, baukünstlerische, optische und finanzielle Probleme. Alles Dinge, die in die Einheit gebracht werden müssen. Wir wissen, daß es keine Geheimrezepte oder mundgerechte Gebrauchsanweisungen gibt, wie man Kirchen, vor allem evangelische Kirchen, baut. Nicht einmal die Akustik läßt sich eindeutig definieren und voraussagen.
Als geistlich traditionslos Gewordene fangen wir schon seit vierzig Jahren von vorn an. Seit vierzig Jahren spricht man vom „modernen Kirchenbau"! Das ist die Situation, aus der heraus wir auch heute noch Kirchen bauen. - antiquiert, modern, gemäßigt? Was ist das schon? Das sind allenfalls sehr zweideutige Begriffe aus dem Bereich der Ästhetik.
In der Gestaltung der Philippuskirche haben wir versucht, aus dem weltlichen Raum einen Teil herauszuschneiden und diesen neuen Raum in seiner Ruhe zu belassen. Nicht geistlicher Ort, heiliger Bezirk, sondern die heitere Ruhe eines Raumes sollte geschaffen werden, die ihre Erfüllung findet in geistlicher Einkehr. Wenn der Raum darüber hinaus „sakral" geworden ist, müssen wir dankbar sein. Dabei sollte dieser Raum nicht der Gegner des profanum werden, denn er ist trotz allem Teil des irdischen Raumes. Wir haben diesen aus der Welt geschnittenen Raum nicht verbarrikadiert oder von Außen völlig losgelöst, sondern versucht, ihn als Durchgangszone zu gestalten, nicht im Sinn des katholischen "Schwellen"-Begriffes, sondern mehr im Sinn räumlich-zeitlichen Verweilens. Durch die grundrißliche Schrägstellung sind die Wandflächen optisch elastisch. In den oberen Zonen dringt Licht ein und verschwebt. Das ist nicht symbolisch, aber es ist auch nicht ohne Beziehung zu gewissen Vorstellungen von ruhigem Raumempfinden.
Ganz konkret: Es handelt sich hier um einen Zentralraum, der durch seine diagonale Firstrichtung trotz allem richtungsmäßig orientiert ist, nicht auf den Altar allein, sondern darüber hinaus durch die Halbrosette wieder in den von Gott geschaffenen Raum ohne Anfang und Ende. Diese Richtung ins Unendliche auf Gott zu wird durch eine geometrische Figur charakterisiert, die in Form von Steinen in die Altarwand eingelassen ist. Wir haben die Parabel gewählt, deren Brennstrahlen ins Unendliche zielen. Brennpunkt ist Jesus Christus, inmitten der Schar seiner Jünger. Diese Altarwand sagt uns: "Alles kommt von Gott und geht zu Gott über Jesus Christus, unseren Herrn". Hinsichtlich des Raumes sind Vergleiche mit Zelt, Schiff u. dgl. unvollkommen, weil die Spannung nicht in den Oberflächen, sondern in den Proportionen von Richtungen allgemein liegt. Um einen ruhigen Raum zu schaffen, bedienten wir uns lediglich architektonischer Formen und Mittel und verzichteten auf jegliches bildnerische Element. Bilder sind nicht nur vergänglich, sie sind auch vielseitig definierbar und stehen damit auch nicht in der Mitte; sie können zu anderen Zeiten an andere Orte rücken, können damit gleichsam die Mitte verlassen.
Aristoteles ist tot. Seine drei Einheiten lassen sich in adäquater Weise aber auch heute noch auf Raumgebilde anwenden: Einheit des Materials, Einheit der Flächen, Einheit des Dekors. Es wurde versucht, diese drei Einheiten zu beachten und zu verwirklichen. Alle Einzelformen entwickeln sich aus der Grundform eines Dreiecks. Stein und Holz sind die Materialien. Das Dekor wurde auf das gerade noch vertretbare reduziert. Dafür legten wir größten Wert auf die Behandlung aller Details, auf Leuchter, Kreuze, Türgriffe, Lampen, Bankdocken, Fußbodenstruktur, Geländer, Wandbehandlung und Deckeneinteilung, denn die Details sind gleichsam die Kinder des Raumes, unberechenbar, Leben bringend, manchmal auch laut und übermütig. Zusammen mit der materiellen Hülle des Raumes bilden sie eine artige Familie. So war es gewollt, ob es erreicht ist, bleibt der Kritik überlassen. Goldene Brücken sind unmodern! Dennoch ein paar Worte für Kritiker.
Mit statistischen Erwägungen können christliche Räume nicht beurteilt werden. Ein gewisses Maß an Urteilskraft besitzen wir in der vergleichenden Betrachtung und im Bereich alles dessen, was wir Tradition des christlichen Raumes nennen. Im Bau der Philippuskirche steckt (vielleicht wider Erwarten vieler) ein gut Teil davon: Die Dachkonzeption geht von den „Nürnberger Scheunenchören" aus, die Türgriffe gehen in ihrer Art auf das frühe Mittelalter zurück, die Anordnung der Raumleuchten läßt an die romanischen Lichtkronen anklingen, die leider noch nicht aufgestellte Orgel bedient sich in der Gestaltung des Prospektes der Mittel klassischer Rahmenkonstruktionen, die Steinsymbolik der Altarwand läßt megalithisches Erbe ahnen, die Halbrosette in der Altarwand bedient sich spätrömischer Gestaltungspraktiken, die Abseitsstellung des Turms kommt schon in altchristlicher Zeit in Italien vor.
Zu jeder Zeit griff die christliche Architektur auf die gemischte Anwendung von Traditionselementen zurück. Trotzdem oder gerade deswegen bilden sich immer wieder neue Stileinheiten auch im Bereich des christlichen Kirchenbaus. Ganz allgemein haben wir uns bemüht, den Raum der Philippuskirche so zu bauen, daß nicht der Eindruck des Begrenzten und Endgültigen entsteht, sondern daß darüber hinaus etwas von Unbegrenztheit, von geistlicher Transparenz spürbar wird. Wir wünschen der Gemeinde, daß sie sich innerhalb dieses Raumes geborgen fühlt und frei werde zu ihrer geistlichen Besinnung.
Johannes Sauer (Aus dem "Programmheft zur Weihe der Philippuskirche am 03.Oktober 1965")